Die freie Provinz Ramotorien


Wenn euer Schiff in die Nähe des Hafens von Ramotoria kommt, könnt ihr schon von weitem die Dächer der Akademien erkennen. Das sichelförmige der "Academia viderius klarus", das wie ein erhobener Arm in den Himmel deutet und das mit goldenen Schindeln bedeckte der "Academia lortzarius fafnewicus". Sie überragen die mit Reet bedeckten Fachwerkhäuser, die das übrige Stadtbild prägen.
Aber noch einmal zurück zur Anreise. Wenn ihr die Auswahl habt, des Nachts oder während des Tages in den Hafen von Ramotoria einlaufen zu dürfen, dann würde ich persönlich die Nacht wählen. Das Leuchten der beiden Feuertürme, die das Ende der Molen säumen, glänzt in der Nacht über den gesamten Himmel, und die Molen wirken wie riesige Flügel, die in den thamorianischen Ozean hinausragen.
Beim Anlegen im Hafen werdet ihr nicht feststellen können, ob es sich um Tag oder Nacht handelt, wenn ihr die Augen geschlossen haltet, denn Ramotoria lebt vom Handel mit anderen Ländern, und so kann es sich niemand im Hafen leisten, während der Nacht zu schlafen. Selbst an den Tagen der Stille herrscht dort ein Gedränge, als würdet ihr in der Mark Thamorn das Schwertfest besuchen wollen. Aber genug vom Hafen, denn schließlich will ich euch ein Land näher bringen, das das nördlichste der thamorischen Insel ist. Trotzdem verbleibe ich mit euch zunächst einmal in der Hauptstadt des Landes. Dort sitzt der einzige Rat des gesamten thamorischen Festlandes. Während alle anderen einen Grafen oder Markgrafen haben, regiert in Ramotorien, unter Vorsitz eines Kanzleramtsrates, der "Rat der Sieben".
Ihr fragt, warum es in Ramotorien keinen absolutistischen Herrscher gibt?
Na ja, diese Frage lässt sich so einfach nicht beantworten. Es war vor ungefähr vierzig Jahren, als es zu einer Reihe merkwürdiger Todesfälle kam. Bis heute ist allerdings nicht geklärt, ob es sich um Angriffe von Thronräubern oder nur um eine unglückliche Verkettung merkwürdiger Umstände handelt.
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Wie dem aber auch sei, der Ramotorier an und für sich ist glücklich mit seinem "Rat der Sieben". Aber er wird aufgrund des Rates in den anderen Ländern Thamoriens eher belächelt, und wenn er zu erklären versucht, warum er diesen Rat so schätzt, erntet er nur ein abfälliges Grinsen.
In Ramotoria selbst gibt es einen weiteren Ort, den ihr unbedingt besuchen müsst. Es ist das "Theater der Küstenwinde". Dort könnt ihr einen gemütlichen Abend verbringen, wenn euch danach ist. Der Gründer des Theaters, Cato von Thamorien, ist ein wahrlich merkwürdiger Kauz. Jedoch werden in ganz Ramotorien, wie auch in den anderen Ländern immer wieder Stücke, die von ihm verfasst worden sind, gespielt. Also achtet auch außerhalb von Ramotorien auf Ankündigungen seiner Stücke. Eine Besonderheit dieses Cato von Thamorien ist, dass er immer wieder in der Versenkung verschwindet, um sich, wie er behauptet, auf neue Stücke vorzubereiten und Inspirationen zu sammeln. Doch es gibt Gerüchte, die besagen, dass er seine Nase in Dinge steckt, die ihn eigentlich überhaupt nichts angehen - aus diesem Grund soll auch schon die Inquisition an ihm interessiert sein, ohne natürlich irgendeine Handhabe zu besitzen.
Das Wirtshaus "Zu den Küstenwinden", das an diesem Theater angeschlossen ist, ist für seine Flosser- und Wassergetierspeisen in ganz Ramotorien bekannt. Der Koch, Reginius Berntssen lässt sehr gerne seine kwanderat´schen Wurzeln in die Gerichte mit einfließen - aus diesem Grund haben seine Gerichte eine gewisse Schärfe.
Aber verlassen wir die Hauptstadt in Richtung Süden. Dort treffen wir nach wenigen Orn auf das Wergenbrechter Moor, in dem es besonders in nebligen und äußerst dunklen Nächten gehäuft zum Auftreten von Irrlichtern kommt. Seid also vorsichtig, wenn ihr in die Nähe kommt, durchquert dieses Moor nur auf dem vorgegebenen Knüppeldamm und am besten nur bei Tag, denn dann können euch diese Lichter nicht in die Irre leiten, und ihr endet nicht als wiederkehrende Moorleichen, wie sie so mancher Reisende in dieser Gegend auch schon sah.
Ganz in der Nähe der Grenze zu Dreieich liegt das kleine Städtchen Rhénbergen, welches für seine Druckerzeugnisse bekannt ist. Leider gibt es seit dem großen Feuer von 801 n.Rg. keine Drucke aus der Frühzeit der "Rhénbergischen Druckkunst". Aber es soll Bibliotheken geben, in denen ihr noch solche Kunstwerke bestaunen könnt, wenn ihr denn jemanden findet, der euch dorthin mitnimmt oder der glaubhaft versichern kann, dass er einen solchen Ort kennt. Wovon ich spreche?
Vergesst einfach, was ich euch erzählen wollte. Ich habe mich sowieso schon viel zu weit aus dem Fenster gewagt, was die Erwähnung der Bibliotheken angeht. Am besten wechsle ich das Thema.
Es gibt in der Nähe von Rhénbergen einen kleinen Ort, dessen Namen ich mir nicht bewusst bin. Dort steht die Ruine eines Feuerturms, der nur in den dunkelsten Stunden Thamoriens leuchten soll. Der Geist des Feuerturmwächters soll auch heute noch in der Ruine hausen. Das letzte Aufflackern rührt aus der Zeit, als der Feuerturmwächter erst wenige Stunden tot war. Er soll das Schiff des damaligen thamorischen Königs vor dem Untergang gerettet haben. Aber dies ist nun schon so viele Jahre her, als dass sich niemand mehr an diese Zeit erinnern kann.
Nun lasst uns in den Osten des Landes gehen. Dorthin kommt ihr am ehesten über die Reichsstraße 6, die von Ramotoria nach Palenberg führt. Der Weg führt an den Nitzachzinnen vorbei, über die es mehr als genügend Legenden gibt. Eine handelt von einem Mann, der dort gelebt haben soll, als es noch einen befahrbaren Weg bis nach Vaeldisch gab. Er soll Zöllner in diesem Gebiet gewesen sein, und als seine Familie verschwand, schwor er den Göttern ab und seitdem irrt er zwischen den Felsen der Zinnen umher, um seine Frau und seine Kinder zu suchen. Also seid gewarnt, wenn ein Stöhnen aus den Zinnen zu euch hinunter schallt. Der Mann sucht nicht nur nach seiner Familie, sondern auch nach weiteren Seelen, die er in den götterlosen Abgrund zerren kann.
Folgt ihr dem Weg in die Zinnen hinein, so könnt ihr den kleinen Ort Eschavild besuchen, aber wenn ihr weiter der Küstenstrasse folgt, dann werdet ihr nach Palenberg kommen und so auch in die Nähe der Grenze zur Steinermark. Dort solltet ihr vorsichtig sein, denn es kommt immer wieder zu Übergriffen durch Reiter. Ob sie aber aus dem steinermarkischen kommen oder nicht, dass möchte ich hier einmal dorthin gestellt lassen.
Bevor ich mit meinen Gedanken zu Ramotorien ende, möchte ich euch noch auf einen kleinen See hinweisen, der im ramotorischen Teil des Grünblatts liegt, oder Syr'Tienna, wie die Elfen ihn nennen. Dort zeigen sich in lauen Vollmondnächten Wesen, deren Aussehen an Frösche erinnert. Und wenn man dort ist und sich ruhig verhält, dann kann man einem Konzert lauschen, wie es seinesgleichen weder hier noch auf dem Kontinent zu hören ist.
Aber nun besucht Ramotorien doch selbst und genießt die Schönheiten und Merkwürdigkeiten des Landes, dessen Regierung aus acht Personen besteht.


Erzählt von Arnislaw Grünrock